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Ins Nichts - Kapitel 1

15 Mar 2021Toso
Ich lehnte mich zurück und genoss das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben. Und dann auch noch am Steuer des eigenen Raumschiffs. Es könnte kaum besser laufen.
Der Moment ging vorbei und ich erinnerte mich daran, dass die Techniker wahrscheinlich schon genervt an der äußeren Schleusentür warteten, damit sie das Schiff warten und reparieren konnten. Denn irgendetwas geht unterwegs immer kaputt, verschleißt oder muss anschließend aufgefüllt werden. Und das meint nicht nur den Treibstoff, den ich notfalls an geeigneten Sonnen aufnehmen konnte. Zumindest, wenn das Schiff ein entsprechendes Modul verbaut hatte.
Mit einem selbstzufriedenen Seufzer gab ich die Wartungsfreigabe und beglich den lächerlich niedrigen Rechnungsbetrag.
Ich war wirklich zufrieden mit meinen letzten Jobs für die Company.

Da keine weiteren Aufträge der Company für mich vorlagen und ich auf die Fertigstellung der Reparaturarbeiten warten musste, schaute ich routinemäßig ins Kommunikationsmenü. Alte Einträge löschen, Daten archivieren, etc. Die Bürokratie war auch im 34. Jahrhundert weiterhin ein steter Bestandteil des Lebens.
Mit einem freundlichen „Sie haben eine neue Nachricht“ wies mich Gerhard, die Stimme des Bordcomputers der Steiger auf den Posteingang hin. Also die Archivierungsarbeiten abschließen und schauen, was die Company denn jetzt wieder für einen Auftrag hatte. Denn es konnte nur die Company sein, schließlich war ich weit genug weg von meinem alten Leben. Sowohl von der Entfernung, wie auch von ... allen anderen Anknüpfungspunkten. Und das war gut so.
Die Nachricht war von einer zur Company gehörenden Bürokratin verfasst. Ava Lopez, der Name sagte mir nichts. Aber ich war ja auch noch nicht lange in der Company.
Ohne Anrede startete die Nachricht direkt mit „Zur Besprechung ihrer bisherigen Aufträge für die Andromeda Corporation erwarte ich sie um 1100 UTC in Wabe X58-366. Eine Transportkapsel holt im Schleusenbereich ihres Schiffes ab.“
Das war ungewöhnlich. Normalerweise verlässt ein Pilot sein Schiff im Raumhafen nicht. Warum auch? Ist ja schließlich alles an Bord, was es braucht. Und was fehlt und ergänzt werden muss, wird ins Schiff geliefert. So entgehen die Stationen jedem Risiko einer eingeschleppten Krankheit. Wer will schon ganze Sternenhäfen unter Quarantäne stellen? Dazu sind die Häfen noch die Tore zu den bewohnten Welten, die sie umkreisen. Und eine Pandemie auf einer bewohnten Welt gilt es unbedingt zu vermeiden!
Weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht, denn mit einem nicht zu überhörenden Knirschen dockte die Transportkapsel an der Fahrzeugschleuse der Steiger an.
Es war schließlich auch schon 1055 UTC. Also ab, runter in den Fahrzeughangar und am SRV, dem sechsrädrige Multigelände Fahrzeug, oder auf Standard Surface Recon Vehicle, vorbei quetschen und ab in die Schleuse und durch die nur halb geöffnete Irisblende in die Transportkapsel die genau dieselbe sechseckige, längliche Form, wie ein Standardcontainer besaß. Kaum, dass ich die Luke geschlossen hatte und ich mich auf einem der Hartschalensitze festgeschnallt hatte, düste die Kapsel mit halsbrecherischer Geschwindigkeit zum Bürokomplex der Andromeda Corporation in Bertin City. Da hatte es jemandTM anscheinend sehr eilig.
Zu Fuß wäre es von den Docks zum Verwaltungszentrum eine echte Odyssee gewesen. Und selbst als interessierter Sternenbürger hätte ich mich wahrscheinlich auf so einer Coriolis-Station verlaufen.
So aber schoss die Kapsel nach wenigen Minuten auf den riesigen Bürokomplex zu, der wie ein gigantischer, halbkugelförmiger Bienenstock die Bear-Plaza umschloss. Benannt nach dem Gründer der Corporation. Die wabenartigen Büros hatten durchgehende Fensterfronten zum Innern des hell erleuchteten Komplexes. So konnte jeder Bürokrat jeden anderen Bürokraten bei seiner Tätigkeit beobachten. Soziale Kontrolle funktioniert auch auf Sternenhäfen wunderbar.
Die Kapsel dockte mit der Schleusenseite an einer der vielen hundert Waben an und verankerte sich an den dafür vorgesehenen Klammern. Die Iris öffnete sich komplett und gab die Sicht auf das Büro in der Wabe frei.
Hinter der Scheibe blickte eine Frau von ihrem Schreibtisch auf, deren Alter ich nicht schätzen konnte. Irgendetwas zwischen 30 und 50 Jahre alt mochte sie sein. Bekleidet mit dem hellblauen Standardanzug der Company zu der ein gelbes Oberteil gehörte. Wahrscheinlich direkt im Company-Shop gekauft und direkt vom Gehalt abgezogen. Kapitalistische Abhängigkeitswirtschaft funktioniert auch im Raumfahrtzeitalter.
Das Namensschild auf dem Schreibtisch wies sie als Ava Lopez, Bürokrat für Spezialaufgaben aus.
„Schön, dass sie es einrichten konnten unfallfrei in meinem Büro zu erscheinen.“ Begrüßte sie mich geschäftsmäßig und nahezu emotionslos durch eine kleine, an der Trennscheibe angebrachte Gegensprechanlage.
„Unfallfrei?“ Fragte ich etwas konsterniert.
„Die Auswertung ihrer bisherigen Missionsdaten spricht nicht gerade für sie. Wurden sie nicht direkt bei ihrem ersten Besuch bei Felicity Farseer abgeschossen?“ Antwortete sie in beiläufigem Ton.
„Dazu zeigen die weiteren Auswertungen von Effektivitäts- und Zeitvorgaben erschreckend schlechte Werte. Verglichen mit Piloten aus unserer Hammer-Staffel erreichen sie nicht mal eine Effektivität von 5% - 4,76% um genau zu sein.“
Mit halb geöffnetem Mund sass ich in der Transportkapsel und meine gute Laune und Selbstzufriedenheit wurden wie durch einen Eimer eiskaltes Wasser hinweggespült.
„Wie ich sehe, hatten sie sich anders eingeschätzt.“ Setzte sie direkt nach. Und ohne mir die Gelegenheit zu geben mich zu sammeln fuhr sie fort „Ich werde mit ihnen nicht über objektive Auswertungen diskutieren. Um ihnen direkt reinen Wein einzuschenken, sie stehen kurz vor dem Rauswurf.“
Darauf war ich nicht gefasst. Ich hatte schon einiges erlebt, aber das ich in meiner Selbsteinschätzung so dermaßen daneben lag, war mir noch nie passiert. Und dass ich so beiläufig damit konfrontiert wurde, machte es nicht besser.
„Wir müssten uns in diesem Fall selbstverständlich noch über eine Ausbildungsentschädigung, die sie an die Company zu zahlen hätten einigen.“ Setzte sie nach.
Ich blickte sie weiterhin völlig konsterniert und sprachlos an. Sie blickte auf ihr Datenpad, runzelte die Stirn, was irgendwie seltsam aussah. „Irgendwer in der Company scheint ihnen allerdings gewogen zu sein, denn meine Anweisungen besagen, dass ich ihnen eine letzte Chance geben soll, eine Mission schnell und erfolgreich abzuschließen.“
„Letzte Chance?“ Krächzte ich, froh es geschafft zu haben, mich überhaupt wieder äußern zu können. Auch wenn es sich selbst in meinen Ohren nicht besonders intelligent anhörte.
Jetzt fixierte sie mich und mir viel auf, dass ihr Haarschnitt sehr modern, exakt, teuer und trotzdem unpassend aussah. ‚Sehr hilfreich‘ sendete mein Großhirn gerade an mein Kleinhirn, als Ava Lopez weiter sprach „Es geht bei der Mission, die sie ausführen sollen um absolute Geheimhaltung. Verstehen sie das?“
‚Absolute Geheimhaltung‘, endlich ein Stichwort, mit dem ich reflexhaft etwas anfangen konnte. „Selbstverständlich“ antwortete ich.
„Nur damit sie mich recht verstehen,“ sprach spezial Bürokrat Ava Lopez weiter „die Konsequenzen bei auch nur vermuteter Missachtung sind unmittelbar und endgültig.“ Machte sie sehr deutlich.
„Geheimhaltung kann ich zusichern.“ Erwiderte ich, endlich wieder in der Lage sinnvoll am Gespräch teilzunehmen. „Was ist Ziel des Auftrages?“ Fragte ich, froh vielleicht doch noch eine Perspektive in der Company zu haben.
„Es geht um eine technische Entwicklung, die uns in der Datenbeschaffung erhebliche Vorteile verschaffen würde. Wie es aussieht, hat eine unabhängige Fraktion es geschafft die Datenextraktion aus Bodenstation um den Faktor zehn effizienter zu gestalten. An diesem Vorteil möchten wir selbstverständlich teilhaben. Unglücklicherweise möchte die unabhängige Fraktion diesen Vorteil nicht aus der Hand geben.“
„Wie sieht der Plan aus?“ Fragte ich.
„Sie fliegen ihre üblich, ineffiziente Runde über Blango. Aber anstatt direkt nach Bertin City zurückzukehren, fliegen sie über Wuthnir weiter nach HIP 65485. Dort wird eine Verbindungsperson an der Navigationsbarke auf sie warten. Um Zwischenlandungen zu vermeiden sollten sie einen Treibstoffsammler mitnehmen.
Nachdem sie ihren ersten Auftrag erledigt haben, fliegen sie nach HIP 65049. Dort wird ebenfalls an der Navigationsboje eine weitere Kontaktperson auf sie warten. Mit etwas Glück, das sie sicherlich brauchen werden, sehen wir uns anschließend zur Auswertung.“
Das war eine ganz schön lange Runde, dachte ich mir. „Benötige ich weitere Spezialausrüstung?“ Hakte ich nach. „Treibstoffsammler, SRV und den Datenträger, den sie an der Gegensprechanlage finden und den sie jetzt bitte einstecken und sicher verwahren. Und denken sie daran, kein Wort zu irgendwem. Auch nicht zu Arbeitskollegen in der Company.“
„Haben wir ein Sicherheitsproblem in der Company?“
„Nicht ihr Problem.“ Antwortete sie kurz angebunden. „Sie starten, sobald sie den Auftrag nach Blango bestätigt haben, der in ihren Missionseinladungen liegt.“
Der Datenträger entpuppte sich als unscheinbaren kleiner Würfel aus einem matten, unscheinbaren Metall. Ungewöhnlich schwer für die geringe Größe. Ich steckte den Würfel ins Batteriefach meines leichten Raumanzuges. Als ich wieder aufblickte, sah ich gerade noch, wie sich Ava Lopez wieder ihrem Datenpad zuwandte und schon schloss sich die Irisblende und die Transportkapsel entkoppelte sich von der Bürowabe. Die Rückfahrt gestaltete sich ähnlich halsbrecherisch, wie die Hinfahrt und ich war froh, als ich wieder zur Steiger wechseln konnte.
Kaum war ich wieder an Bord, schoss die Transportkapsel auch schon wieder davon. Immer noch etwas verunsichert versuchte ich, auf dem Weg ins Cockpit das Gespräch zu verarbeiten. Und je mehr ich darüber nachdachte, je seltsamer kam mir der Auftrag vor. Irgendetwas passte an der ganzen Sache nicht. Andererseits war ich, trotz meines Alters, wieder neu im Pilotensitz. Vielleicht waren solche Aufträge heute alltäglich? Die Geheimhaltung konnte ich nachvollziehen. Konkurrenz gab es genug im menschlichen Siedlungsgebiet der Milchstraße. Und mindestens seit 3.500 Jahren galt ‚homo homini lupus‘ in einer längst vergessenen Sprache. Übersetzt etwa ‚der Mensch ist dem Menschen ein Wolf‘.
Diese Machtspiele kannte ich aus meiner Vergangenheit, das war sicher nicht der störende Faktor. Aber so sehr ich auch grübelte, ich konnte einfach nicht den Finger drauf legen. Der blinkende Posteingang riss mich aus meinen Gedanken, kaum, das ich das Cockpit betrat. Wie schon vermutet sollte ich wieder 200 Einheiten Agronomisches Mittel nach Jacobi Settlement im Blango System bringen. Ich bestätigte den Auftrag und das vollautomatische Ladesystem begann seine Arbeit. Wie in der Vergangenheit dauerte das Beladen keine 10 Minuten. Die Reparaturen und das Auftanken waren ebenfalls schon erledigt. Ich überprüfte die Ausrüstungsliste und stellte dabei fest, dass mir noch der geforderte Treibstoffsammler fehlte. Glücklicherweise war auf der Station noch ein erstklassiges Modul verfügbar, das ich sofort gegen einen mittleren Frachtraum tauschen ließ.
Entsprechend ausgerüstet ließ ich den Bordcomputer die Route nach Blango berechnen, erbat meine Starterlaubnis und hob nach der Bestätigung der Flugkontrolle vom Landepad (musste das jetzt nicht Startpad heißen?) ab. Kaum war ich abgehoben und flog langsam Richtung Airlock, im Pilotenjargon auch gerne ‚Briefschlitz‘ genannt, schoss ein kleines Objekt an mir vorbei und wurde augenblicklich von den Geschützen im Airlock erfasst und vernichtet. „Alle Piloten sind aufgefordert, sich an die Geschwindigkeitsobergrenze im Raumdock zu halten. Zuwiederhandlungen werden werden nach Gefährden unverzüglich geahndet!“. Das war deutlich. Theoretisch kannte ich die entsprechende Regelung. Die konkrete Anwendung so nah zu erleben war jedoch etwas ganz anderes.
Ich hielt mich, auf dem Flug aus dem Dock, so strickt an die Geschwindigkeitsvorgaben, wie noch nie in meinem Leben. Außerhalb des Sternenhafens wimmelte es nur so von Polizeikräften. Mindestens ein Dutzend Vipern patrouillierte vor Bertin City. Prompt wurde ich angefunkt und von mindestens drei Polizeischiffen gleichzeitig gescannt. „Haben sie außer der auf den Frachtdokumenten verzeichneten Ladung noch weitere Güter an Bord?“ Wollte eine energische Stimme aus dem Funkgerät wissen. „Nein Officer, mein Laderaum ist voll mit Dünger. Sie können das gerne persönlich prüfen.“ Ausgerechnet jetzt kam meine vorlaute Art zurück. Ich hätte mich selbst ohrfeigen können.
„Sie haben doch gesehen, was mit der Transportkapel passiert ist.“ Die befehlsgewohnte Stimme drang jetzt ernst und sehr deutlich aus dem Funkgerät. „Wir haben erhöhte Alarmstufe und werden verhindern, dass sensitive Schmuggelware die Station verlässt. Bereiten sie sich auf einen Detailscan vor.“
Na super, das wird meine anscheinend eh schon grottenschlechten Zeitbewertung sicher zu neuen Negativrekorden führen, dachte ich und verkniff mir dieses Mal eine Bemerkung zum Thema detailgescannter Gülle.
Augenblicklich umschwirrten mehrere Scanndrohnen die Steiger. Eine war so frech und schwebte direkt vor der Cockpitscheibe und schien mich immer und immer wieder zu scannen. Mir kam die Prozedur endlos vor. „Wie lange soll das dauern?“ Fragte ich vorsichtig über Funk. „So lange es eben dauert.“ Bekam ich die erwartete Antwort.
Ich richtete mich gerade auf eine längere Wartezeit ein, da schoss eine Krait Phantom, ein sehr flaches, schnelles Schiff, aus dem Briefschlitz an mir vorbei Richtung freier Weltraum.
Die Reaktion der überrumpelten Polizeikräfte kam zwar etwas verspätet, dafür umso deutlicher. Bis auf zwei Schiffe stoben alle Vipern der Krait hinterher. Die hatte zwar einen ordentlichen Vorsprung und war schnell, aber Vipern waren schneller. Normalerweise jedenfalls. Eigentlich hatte ich erwartet, das die Vipern die Krait trotz des Überraschungsmanövers schnell einholen und stoppen würden, aber ich sah mich getäuscht. Der Vorsprung der Krait schrumpfte zwar, das aber erheblich langsamer, als ich das vermutet hätte. Mit ein bisschen Glück konnte die Krait es wirklich schaffen genug Distanz zum Sternenhafen aufzubauen, um die Sprungtriebwerke zu aktivieren.
„Officer“ setzte ich über Funk an und erhielt prompt als Antwort „Sie sind immer noch hier? Fliegen sie endlich weiter, wir haben genug zu tun!“ Von einer der verbliebenen Polizeivipern.
Entsprechend gab ich Schub und sah noch, wie die verzweifelten Vipern der Krait ein paar Distanzschüsse hinterherjagten, bevor diese aus dem System sprang.
Nach so viel Aufregung sehnte ich mich nach ein paar Stunden in der Schwärze. Mit diesem Gedanken löste ich den Sprung Richtung Blango aus.
Endlich wieder eins mit dem Nichts.
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