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Wie Thimeus Kommandant wurde

11 Jun 2020Thimeus
Der größte Fluch als auch der größte Segen von Kommandant Thimeus liegt in seiner Affinität zur Effizienz.

Schon in jungen Jahren erkannte er, dass es sich viel besser lernen ließ, wenn man wusste, wofür das Wissen überhaupt gut sein soll. In Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern half ihm das enorm weiter, in Fächern wie Galaxiekunde, Biologie, Geologie und diversen Sprachen (wozu so viele Sprachen können, wo es doch die Humansprache Englisch gab?) fehlte ihm dieser Anreiz, weil er von seine Lehrern keine plausible Erklärung bekam. So überraschte es niemand, dass sein Notendurchschnitt mittelmäßig blieb und er dadurch keine Chance auf eine höhere Bildung bekam.

Ähnlich lief sein junges Liebesleben ab. Er erfuhr nie, warum Frauen, obwohl sie nach humanem Gesetz gleichberechtigt waren, erobert werden wollten und, obwohl sie gleiches Geld verdienten, unbedingt bei einem Date eingeladen werden mussten. Diese und weitere Fragen, die er mit der Frage „Warum machen es die Frauen einem unnötig schwer?“ bekamen nie eine bessere Antwort als „Das ist einfach so“, was seiner Meinung nach überhaupt nichts erklärte.
Maschinen funktionierten da nach einem viel einfacheren Prinzip: Wenn ich das so mache, tut die Maschine das und so entsteht diese Handlung, die ich ohne das Teil nie hinbekommen hätte. Dieses Prinzip, das im Groben leicht zu verstehen war und ihn immer mehr faszinierten, je weiter man ins Detail ging, führten ihn schließlich in die Schiffsbaubranche.

Durch seine Mittelmäßigkeit in der Schule blieb Thimeus die Programmierung sowie das Ingenieurswesen verwehrt und als 3D-Puzzler in einer Montagehalle wollte er ganz sicher nicht sein Leben verbringen. So bewarb er sich bei dem Reparatur- und Wartungstrupp seiner Heimatstation und wurde prompt angenommen. Wegen seiner Einsatzbereitschaft, die auf den Mangel einer Partnerin zurückzuführen war, und seinem Verständnis für Maschinen, hob er die Effizienzrate seiner Werkstatt und wurde schon wenige Jahre nach seiner Ausbildung zum stellvertretenden Abteilungsleiter befördert. Seine ehemaligen Kollegen freute das, so konnten sie die regelmäßigen Belohnungen wieder unter sich aufteilen. Thimeus selbst fand daran keinen Gefallen. Er erledigte die Arbeiten lieber selbst als sie zu verteilen und bei der Kontrolle zu überlegen, ob er selbst auch so lange dafür gebraucht hätte.

Es dauerte mehrere Monate, bis Thimeus zufällig eine Stellenausschreibung für einen Werkstattleiter der Wartungs- und Reparaturabteilung auf einem Außenposten entdeckte. Die Station befand sich in einem anderen System, aber viel hielt ihn auch nicht in Sol. Eine Partnerin hatte er nicht, seine Freunde arbeiteten auf einem Planeten oder waren in der Personentransportbranche und mit seiner Familie hatte er auch nicht den meisten Kontakt. Zudem würde er doppelt so viel verdienen wie er es im Moment tat, weil auf solche Außenposten zumeist Strafversetzte kamen und sich kaum qualifiziertes Personal fand, das dort freiwillig arbeiten wollte.

Den Grund dafür fand Thimeus an dem Tag heraus, an dem er auf dem Außenposten eintraf. Der Stationsleiter begrüßte ihn knapp, drückte ihn einen Plan der Station sowie ein Handbuch in die Hand und verabschiedete sich wieder. Von seinem Vorgänger, dorthin versetzt, weil ein Sündenbock für einen Korruptionsfall in der Führungsebene der Föderation gebraucht worden war, erfuhr er, dass der Stationsleiter ebenfalls ein Strafversetzter war. Man hatte gehofft, dessen Arbeitsmotivation durch pure Notwendigkeit zu wecken, aber stattdessen hatte dieser seine Lasst-mich-in-Ruhe-Mentalität beibehalten und fortan alle anstehenden Arbeiten auf andere abgewälzt. Bei den Mechanikern selbst hatte Thimeus das Glück, dass sein Vorgänger ein System eingeführt hatte, nach dem man private Nachrichten mit der gleichen Verzögerung bekam, wie man auch seine Arbeit erledigte. Ein System, das man leider nur bei sich selbst und seinen Untergeben durchsetzen konnte, meinte der Mann mit Blick in Richtung Büro des Stationsleiters.
Dieses System blieb im IT-Netzwerk der Station, fand aber schon nach wenigen Wochen keine Anwendung mehr. Dank seiner Affinität zur Effizienz fand Thimeus schnell Wege und Möglichkeiten um die Arbeiten in der Werkstatt zu optimieren. Den Mechanikern freute es. Durch nur geringfügig erhöhte Leistungen konnten sie ihr Tagespensum meist vor der Zeit erfüllen und hatten so mehr Freizeit. Ein Problem blieb allerdings die Versorgung. Bestellungen hochwertige Ersatzteile mussten vom Stationsleiter genehmigt werden. Dieser hatte für seine Arbeit nur einmal die Woche Zeit und damit sonst niemand etwas von seiner Mentalität mitbekam, änderte er immer das Antragsdatum auf den Tag, an dem er es bearbeitete. So musste Thimeus sich den Nachrichten vom Inspektionsbüro stellen, die natürlich wissen wollten, warum er nur einmal die Woche Bestellformulare ausfüllte. Eine Lösung für dieses effizienzblockierende Problem suchte er vergebens.

Monate später gab es ein Problem mit den Bewegungsmeldern für die Beleuchtung im Flur der Verwaltung. Bei einem Test fiel Thimeus auf, dass in einem der Büros jedes Mal ein Pfeifen zu hören war, wenn das Licht anging. Er lugte durch die einen Spalt offenstehende Tür und erkannte den Sinn des Pfeifens, als der Angestellte nach dem ertönen hastig auf einen versteckten Knopf drückte. So fand er auch das Problem mit den Bewegungsmeldern: Der Mann, der sich IT-Max nannte und damit erklärte warum er hier war, hatte diese für sein Chef-Rundgang-weck-System angezapft. Thimeus schlug ihm vor dafür stattdessen die ID-Erkennung der Schleuse zu nutzen. Zum Dank für den Tipp und weiteres Schweigen halt IT-Max ihm ein nachträgliches Anforderungsformular auszuformulieren und ins Bürokratiesystem zu integrieren. Durch dieses Formular konnte ein Werkstattleiter, der von höherer Stelle dazu autorisiert wurde, selbstständig Teile anfordern und der Stationsleiter hatte drei Wochen um zu bestätigen, dass diese Anforderung erforderlich war. Ein solches Autorisierungsformular erschufen sie ebenfalls, nur waren diese besonders und vor allem sehr auffällig gekennzeichnet, wodurch es nicht möglich sein würde es einfach zusammen mit einem Dutzend anderer Formulare abzugeben. So gingen die Arbeiten schleppend weiter.

Nur wenige Tage danach steuerte eine Patrouille die Station an, bestehend aus einer Krait MKII und drei Viper MKIII. Jedes dieser Schiffe hatte eine Rumpfhüllenintaktheit von unter 30 Prozent und etliche Modulschäden. Der Anführer der Patrouille, ein alter Haudegen mit Kontakten hoch genug um einen Stationsleiter über Nacht in den aktiven Militärdienst versetzen zu lassen, verlangte höchste Priorität bei der Reparatur seiner Schiffe (Wortlaut: Ich will hier nicht übernachten, also sehen Sie zu, dass das fertig wird), was ihm vom Stationsleiter selbstverständlich genehmigt wurde. Alles weitere überließ er Thimeus, denn das war für ihn kein Grund den allwöchentlichen Raid-Tag seines Clans in Galaxy of Warcraft zu verpassen.
Schon bei dem ersten Blick auf das was bei den Schiffen beschädigt worden sowie das was schlicht nicht mehr da war, erkannte Thimeus seine Chance. Nach kurzer Absprache mit IT-Max, der sich ohne Probleme anzeigen lassen konnte, was auf dem Monitor des Stationsleiters zu sehen war, gelang auch das Timing. In genau dem Moment, in dem die Truppe Rast machte um sich für das nächste Voranschreiten vorzubereiten, klopfte Thimeus an die Tür des Stationsleiters und hielt ihm nach erlaubtem Eintreten ein Notepad mit ausgeführtem Prioritätsanforderungsformular für einen Schildverstärker vor die Nase. Ohne sich auch nur ein Wort anzusehen unterschrieb dieser das Formular und gab das Notepad zurück mitsamt der Aufforderung ihn nur mit wirklich Wichtigen Dingen zu stören. Dies geschah eine halbe Stunde später mitten in einem Kampf gegen einen riesigen Thargoiden mit einem Formular für eine modifizierte Treibstofftransferdrohnensteuerung. Dem folgten in ungleichmäßigen Abständen Formulare für Panzerplatten, Automatische Feldwarungseinheiten, Schraubendreher, Leuchten in verschiedenen Farben für die Deckenlampen im Hangar, Frauenkalender, Männerkalender für die nicht vorhandenen Frauen und Zahnpasta. Er löschte natürlich alle Formulare, die nichts mit Schiffteilen zu tun hatte.
Durch eine angezapfte Überwachungskamera, die zwar nicht den Monitor aber das Gesicht des Stationsleiter sah, wusste Thimeus, dass sein Plan aufging. Er wartete, bis der Raid unterbrochen wurde, weil einer der Teilnehmer auf die Toilette musste, bis er mit einem Formular für ein Steuerkonsolenmodul zum Stationsleiter ging.
„Schon wieder?“, fragte dieser. „Wie viele kommen denn noch davon?“
„Das kann ich leider nicht sagen. Wir versuchen die Teile möglichst zu reparieren um die Kosten niedrig zu halten, aber manchmal erkennen wir erst später, ob das überhaupt noch möglich ist.“
„Und jedes einzelne verdammte Mal musst du mich stören? Wir wären vorhin beinahe alle draufgegangen.“
„Sie sagten oberste Priorität und das bedeutet nun mal jetzt sofort. Sonst wüsste ich nur die Freigabe für das nachträgliche Anforderungsformular.“
„Freigabe für was?“
„Das nachträgliche Anforderungsformular. Ich habe es erst gestern entdeckt und wollte es morgen mit Ihnen besprechen. Es ist für genau solche Situationen gedacht. Dadurch kann ich Teile direkt bestellen und Sie müssen das nur innerhalb von drei Wochen bestätigen.“
„So etwas gibt es? Ist ja genial. Wo finde ich das?“
Natürlich hatte Thimeus das Formular schon geöffnet und konnte es seinem Vorgesetzten gleich vorzeigen. Dieser trug zunächst nur diesen Tag ein, überlegte es sich aber schnell anders, als Thimeus ihn darauf hinwies, dass er das Formular bei solchen Gegebenheiten immer wieder aufs Neue ausfüllen müsse. Zwei Minuten später hatte Thimeus die zeitlich unbegrenzte Freigabe selbstständig Teile zu bestellen.

Von dem Tag an ging die Arbeit in der Werkstatt deutlich besser voran. Wegen Thimeus‘ Bemühungen die Bürokratie möglichst gering zu halten, wurde die Werkstatt sehr schnell bei den Piloten beliebt. Dadurch gab es für die Mechaniker zwar immer mehr Arbeit, sie bekamen aber auch mehr Trinkgeld in Form von Credits, Geschichten und Spirituosen. Weil der Stationsleiter sich nach wie vor nicht für seine Umgebung interessierte, gab es auch von seiner Seite keine Probleme. Zumindest so lange, bin an einem Quartalsende das übrige Budget nicht mehr für die regelmäßige, alle drei Monate stattfindende, Neuvergoldung der Außenhülle seiner Privat-Dolphin reichte.

Es war wohl das erste Mal in seiner Karriere, dass der Stationsleiter aufmerksam seinen Posteingang durcharbeitete. Besonders bei den Auftrags- und Bestelllisten sah er genau hin. Dabei traf ihn beinahe der Schlag. Anstelle wie sonst üblich billige Teile zu kaufen, die ihren Dienst so gerade in ihrer Garantiezeit taten, hatte Thimeus in den Flottenschiffen ausschließlich Teile nach Militärstandart verbauen lassen, die locker dreimal so viel kosteten. Und Maschinen von traditioneller Qualität, die während der gesamten Dienstzeit seines Vorgängers nicht ein einziges Mal repariert werden musste, hatte er schon bei dem ersten Totalausfall durch die neusten und damit teuersten Produkte ersetzt. Und anstelle den IT-Typen eine Schnittstelle für die Kommunikation der Stationssoftware mit der der Schiffe programmieren zu lassen, hatte die Software für Unsummen auf den neusten Stand bringen lassen. Damit stand für ihn fest, dass er Thimeus loswerden musste und zwar schnell.
Nur wie war die Frage. Irgendwie hatte Thimeus sich bei den Arbeitern beliebt gemacht. Würde er einfach verschwinden würden sie bestimmt Fragen stellen und das konnte er grundsätzlich nicht leiden. Einer Versetzung musste er zustimmen und für eine Strafversetzung wurde er von zu wichtigen Leuten in den Belobigungsschreiben erwähnt, in denen ihnen zwar zusätzliche Urlaubstage, aber keine Bonuszahlungen zugesprochen wurden.
Um auf andere Gedanken zu kommen, machte der Stationsleiter einen Rundgang, wohl den ersten seit dem letzten Inspektionsteam, das sie besucht hatte. Dabei fiel ihm auf, dass das Licht im Flur der Verwaltungssektion neuerdings tadellos funktionierte. Auch sonst waren die ganzen Macken nicht mehr da. Das war zwar angenehm, löste aber nicht sein Problem. Sogar die Lichter in den Hangars taten nun alle, selbst in dem, in dem niemand landete, weil da immer noch die Sidewinder stand. Er erinnerte sich daran, wie sie vor zwei Jahren hergeschafft worden war und so einem frischgebackenen Kommandanten übergeben werden sollte, der sich aber am Abend davor zu Tode gesoffen hatte.
Da kam ihm die Idee. Bei den ganzen Belobigungen, die Thimeus bekommen hatte, würde sich bestimmt niemand gegen eine Beförderung zum Schiffskommandanten aussprechen. So wäre er ihn ein für alle Mal aus der Werkstatt los und niemand würde Fragen stellen.
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